Metaverse

17.4.2024
Hier beschäftigen wir uns mal ein bisschen mit Science Fiction. Denn ein Hype, der uns bisher eher aus der SciFi-Literatur bekannt war, beschäftigt die Early Adoptors, hoffnungsvollen Investoren, Gamer, Designer und Entwickler.

Ende Juni 2021 trat Mark Zuckerberg mit einer ambitionierten Ankündigung an die Öffentlichkeit. Er verkündete, dass Facebook die Grenzen seiner Existenz als Anbieter miteinander verbundener Apps und sozialer Medien zukünftig hinter sich lassen will. Entstehen soll etwas viel Umfassenderes, etwas das geeignet ist, unser Leben grundlegend zu verändern, nämlich das Metaverse. 

Am 28. Oktober 2021 dann verkündete Mark Zuckerberg die Umbenennung von “Facebook, Inc.” in “Meta Platforms, Inc.” und begründete dies mit der Absicht, das Metaverse aufzubauen, in dem Meta sicherlich eine zentrale Rolle spielen soll.

Was das Metaverse ist, ob es überhaupt möglich, erstrebenswert und mehr ist als ein bisschen Pep-Talk zur Stimmungshebung für Angestellte und Investoren, darüber wollen wir uns im Folgenden Gedanken machen. 

tl;dr: Wer schon weiß, was das Metaverse ist und was allgemein davon zu erwarten ist, kann direkt zum Abschnitt “Was bedeutet das Metaverse für HR?” vorspringen.

Was ist das Metaverse?

Das Metaverse ist nach Ansicht seiner Verfechter die logische Weiterentwicklung des Internets. Es ist eine synchrone, virtuelle 3D-Welt, an der (anders als heute) unbeschränkt viele Personen in Form von Avataren teilnehmen können. Diese haben alle in Echtzeit eine lebensnahe Erfahrung des Virtuellen. 

Diese Simulation stellt eine Nutzer-Erfahrung dar, die:

  • permanent ist (also weder abgeschaltet noch pausiert werden kann),
  • die physische und die digitale Welt sowie 
  • öffentliche und private Netze umfasst, 
  • deshalb ein bislang ungekanntes Maß an Interoperabilität erfordert, 
  • eine voll funktionsfähige Ökonomie besitzt und 
  • von einer unüberschaubaren Anzahl von Mitwirkenden erstellt, betrieben und genutzt wird.

Der Übergang zwischen Metaverse und Realität soll dabei fließend sein und durch Virtual Reality, Augmented Reality- und Mixed Reality-Brillen ermöglicht werden - sowie durch eine Vielzahl bisher noch nicht entwickelter Sensoren und weiterer Technologien.

Der Weg dorthin wird jedoch ein eher langwieriger Prozess sein und keine schlagartige Disruption, dessen sind sich Zuckerberg, Epic/Fortnite-CEO Sweeney und Matthew Ball sicher.

Die (Vor-)Geschichte des Metaverse

Das Konzept hinter dem Metaverse ist schon ein paar Jahrzehnte alt. Es ist in Ansätzen bereits im Film “Tron”, der “Neuromancer”-Trilogie von William Gibson und dem Roman “Ready Player One” von Ernest Cline erkennbar.

Der Begriff “Metaverse” jedoch (ebenso wie der Begriff “Avatar” in diesem Zusammenhang) wurde erst 1992 im Roman “Snow Crash” von Neal Stephenson geprägt. Er bezeichnet dort bereits das, was auch heute darunter verstanden wird (s.o.). Das Metaverse im Roman ist erforderlich geworden, weil die umgebende Realität dystopisch, unübersichtlich und unerträglich geworden ist. Diese Tatsache wird von den heutigen Verfechtern des Metaverse meist ausgeblendet.

Jedenfalls hat es die Vorstellungskraft der Tech-Community entzündet und nachhaltig geprägt - in den Augen mancher eine realitätsentrückte Fantasie reicher weißer Kinder

Facebook/Meta ist zwar sicherlich das Unternehmen, das sich am entschlossensten für den Aufbau des Metaverse in Stellung bringt. Aber schon seit geraumer Zeit versucht man dort, die Möglichkeiten des Internets in diese Richtung zu erweitern. Aber auch andere Unternehmen haben bereits versucht, Schritte in Richtung Metaverse zu gehen.

Second Life, gestartet 2003, ist so ein Beispiel. In dieser durchaus komplexen 3D-Welt bewegen sich Avatare, die von ihren Usern selbst gestaltet werden können. Es wurde bereits für virtuelle Konferenzen genutzt und zeitweise war es möglich, Grundstücke in Second Life zu besitzen. Die im Spiel verwendete Währung Linden Dollar ist in US-$ und Euro konvertierbar. 

In Fortnite wiederum gibt es einen Spielmodus, in dem Spieler eigene Welten und Avatare kreieren können. Dort wurden auch in jeweils individuell gestalteten Welten Konzerte veranstaltet, Popmusik-Alben released, Filmstarts und Produkte beworben. Überhaupt sind Multiplayerspiele, insbesondere Fortnite, als eine Art von Proto-Metaverse anzusehen. 

Microsoft hat mit der Microsoft HoloLens eine Mixed Reality-Brille im Angebot, mit deren Hilfe die Windows Mixed Reality-Plattform genutzt werden kann.

Im Decentraland, das 2015 begründet und im Februar 2020 online gestellt wurde, können Grundstücke erworben werden. Dort wurde bereits das erste virtuelle Musikfestival veranstaltet und ein erster Shopping District ist ebenfalls im Aufbau.

Zuckerbergs Vorstellung vom Metaverse

So wie Zuckerberg es beschreibt, erstreckt sich das Metaverse über die gesamte Breite des Realitäts-Virtualitäts-Kontinuums. Mithilfe von Augmented Reality/Mixed Reality-Brillen soll ein nahtloser Übergang zwischen Metaverse und physischer Realität ermöglicht werden. So kann das gesamte Spektrum dieses Kontinuums betrachtet werden. Damit soll es u.a. möglich werden, digitale Objekte in die reale Umgebung einzublenden. 

Und mit einer VR-Brille können die verschiedenen Welten der Virtuellen Realität besucht werden. So soll man aus dem realen Büro in ein virtuelles wechseln können und aus diesem z.B. in eine virtuelle Spielewelt oder an einen weit entfernten Ort, um dort virtuell ein Konzert zu besuchen. 

Das Metaverse soll dabei schlichtweg alles enthalten. Vom Remote Job, den wir im Metaverse verbringen, sollen wir dann nahtlos in eine Gaming-Welt, ein virtuelles oder reales Konzert oder unser virtuelles Zuhause wechseln können. 

In unserem virtuellen Heim hängen auf der virtuellen Kleiderstange unsere jeweiligen virtuellen Kleidungsstücke oder auch verschiedene, für spezielle Aufgaben zugeschnittene Avatare. 

Wozu ist das Metaverse gut?

Wir hoffen natürlich, dass es nicht dahin kommt, dass die reale Lebenswelt so fürchterlich wird, dass wir uns in eine virtuelle Variante flüchten MÜSSEN. Auch wir hätten ganz gerne die Wahl, ob wir uns jeweils im realen Leben oder im Metaverse aufhalten.

Aber auch in einer noch relativ intakten Lebenswelt wie unserer kann es ja Gründe dafür geben, sich ins Metaverse zu bewegen. Facebook hat dafür als Vorstufe des Metaverse Horizon gelauncht. Dort gibt es:

  • Horizon Home, das digitale Zuhause, das noch in diesem Jahr ein individualisierbares Arbeitszimmer bekommen soll,
  • Horizon Worlds, ein Virtual-Reality-Online-Videospiel,
  • Horizon Workrooms bietet VR für Businessmeetings mit Räumen; die ebenfalls individualisierbar (Branding) sein sollen und
  • auf dem Horizon Marketplace sollen digitale 3D-Items verkauft und geteilt werden. 

In anderen Worten, im Metaverse passiert das gleiche wie in der Realität, nur ohne Grenzen und Entfernungen. Da Meta neben dem Hersteller von VR-Brillen Oculus auch eine Kryptowährung im Portfolio hat, ist der Konzern bereits jetzt gut aufgestellt, denn er hat viele Abschnitte der Wertschöpfungskette mit eigenen Produkten besetzt. 

In diesem Zusammenhang gewinnen dann sicher auch NFTs mehr als nur esoterischen Wert. Denn mit ihnen kann das Eigentum an virtuellen Immobilien, virtueller Kleidung und am eigenen Avatar belegt werden.

Als minimaler Vorgeschmack wird dieses Jahr der Facebook Messenger in die virtuelle Realität eingebunden. Dann braucht es nur noch die Investition von 500 bis 800 Euro durch alle Teilnehmenden, um eine VR-Brille erwerben und in der virtuellen Realität den Facebook Chat nutzen zu können. 

Voraussetzungen für das Metaverse

Zuckerberg selbst gibt zu, dass noch Vieles fehlt, was ein funktionierendes Metaverse ausmacht. Unter anderem konstatiert er den Mangel 

  • eines Ökosystems, innerhalb dessen die Arbeit am Metaverse stattfinden kann, 
  • von Normen, die es regulieren sowie
  • von Formen von “Governance” (also wohl eine Art Exekutive, die die Einhaltung der Normen durchsetzt).

Finanzierung

Wie all dies zu finanzieren ist, darüber macht Zuckerberg keine allzu konkreten Aussagen. Oft nutzt er bei seinen Beschreibungen der schönen neuen Welt des Metaverse und dann bei ihm wie in Politikerreden das unspezifische Wir auf, das offen lässt, wer genau gemeint ist: Facebook/Meta, andere Unternehmen, wir alle oder irgendeine Schnitt- oder Teilmenge davon.

Und Zuckerberg betont: “ Wir werden mit jedem zusammenarbeiten, der dazu beiträgt, das Metaverse zum Leben zu erwecken.” (Also sicher auch mit dem Militär, der Intelligence Community und Firmen wie Cambridge Analytica.) 

Technische Voraussetzungen

Aber auch die technische Seite all dessen wird noch viel Arbeit erfordern. Denn sie besteht hauptsächlich aus Wünschen für die Zukunft.

Offene Standards

Damit das Metaverse wirklich allumfassend wird und alles hält, was sich seine Verfechter davon versprechen, muss die verwendete Hard- und Software interoperabel sein. Die dazu erforderlichen Standards existieren jedoch noch gar nicht.

Sowohl Zuckerberg als auch Sweeney betonen aber, wie wichtig es ist, dass das Metaverse auf offenen Standards basiert. Denn das Hauptmerkmal des Metaverse ist, dass wirklich alles darin Platz hat und interoperabel ist, dass Nutzer von einer Welt und von einer Funktion zur anderen und von einem Anbieter zum anderen wechseln können, wobei alle angeschlossenen Geräte reibungslos miteinander funktionieren. Ohne offene Standards ist dies nicht möglich. Denn kein einzelner Player hat genügend Mittel zur Verfügung, die erforderlichen Entwicklungen allein voranzutreiben. 

Epic/Fortnite-CEO Sweeney beruft sich dabei auch auf Metcalfes Gesetz, das besagt, dass der Wert eines Telekommunikationsnetzwerks proportional zum Quadrat der Anzahl der angeschlossenen Nutzer steigt. D.h. richtig wertvoll wird das Metaverse nur dann, wenn – auf Nutzer- wie Produzentenseite – wirklich ALLE daran teilnehmen. 

Damit dies geschieht, müssten die beteiligten Unternehmen eine Haltung des aufgeklärten Egoismus einnehmen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar alle ihre eigenen Zwecke verfolgen, dies jedoch auch anderen zubilligen – und zwar auch ihren direkten Konkurrenten. Eine solche Haltung ist jedoch im quartalszahlen-getriebenen Business bestenfalls vereinzelt anzutreffen.

Fortgeschrittene Sensorik

Wenn ein Avatar lebensechte Mimik und Gestik haben soll, muss es Sensoren geben, die am Körper der Nutzer die entsprechenden Daten abgreifen. Zwar arbeitet Meta an einer Art Datenhandschuh, der offenbar am Handgelenk neuronale Impulse empfängt und die entsprechenden Handbewegungen daraus ableitet. 

Aber mehr gibt es derzeit noch nicht. Was fehlt, ist so Wesentliches wie:

  • Augentracking,
  • Handtracking,
  • das Tracking von Mimik, Gestik und Körperhaltung,
  • Algorithmen, die sicherstellen, dass besonders bei Augmented Reality und Mixed Reality virtuelle und reale Objekte jederzeit in Größe und Perspektive richtig dargestellt werden.

Zuckerberg selbst vermutet, dass es mindestens ein Jahrzehnt dauern wird, die erforderlichen Technologien zu entwickeln, um ein reibungslos funktionierendes Metaverse zu bauen. 

Rechenkapazität

Damit Millionen Teilnehmende eine User Experience haben können, bei der sie nahtlos zwischen virtueller und physischer Realität wechseln und dabei alle Objekte jederzeit in der korrekten Größe und Perspektive dargestellt sehen, müssen Computer um ein Vielfaches leistungsfähiger werden, als sie jetzt sind. 

Energie

Schon Streaming verursacht enorme Energiekosten. Die mehr oder weniger fotorealistische 3D-Simulation von Millionen von Menschen und ihren Tätigkeiten dürfte ein Vielfaches davon benötigen. Die Frage, wie das in einem Kontext von Dekarbonisierung und Energiewende gehen soll, wird von den Propagandisten des Metaverse nicht einmal gestreift. 

Bandbreite

Selbstverständlich müssen die Teilnehmenden für die Benutzung des Metaverse eine zuverlässige und leistungsfähige Internetanbindung haben. Dies bedeutet, dass es in der notorisch schlecht angebundenen deutschen Provinz wohl eher nicht möglich sein wird, am Metaverse teilzunehmen. Wahrscheinlich wird man dann die Avatare von Armen und Landbewohnern an ihrer ruckelnden, flackernden schwarzweißen Grafik erkennen.

 

Was bedeutet das Metaverse für HR?

Sicher wird es irgendwann möglich sein, ein Vorstellungsgespräch in einer virtuellen Umgebung stattfinden zu lassen. Als wie lebensecht dies empfunden wird, hängt neben der Technik sicher hauptsächlich vom guten Willen der beteiligten Personen ab.

Ebenfalls sind Konferenzen und Fortbildungen denkbar, an denen die Mitarbeiter internationaler Unternehmen teilnehmen können, auch wenn sie sich an völlig verschiedenen Enden des Globus befinden. Das ist zweifellos ein reizvoller Gedanke. 

Für den Moment jedoch ist die wichtigste Nachricht für HR, dass Meta Platforms, Inc. 10.000 Stellen in Europa für hochqualifizierte Tech-Spezialisten schaffen will. Was wie eine Wohltat klingt, bedeutet natürlich zugleich eine Verschärfung des Fachkräftemangels bei den qualifiziertesten Soft- und Hardwareentwicklern. Der Konzern macht sich hier das günstige ökonomische Umfeld in Europa mit vielen Hochschulen und leistungsfähigen Tech-Standorten zunutze. Zugleich hat Meta Platforms, Inc. ein Interesse, Europa frühzeitig in die Entwicklung einzubeziehen, um es zugleich als Markt zu erschließen. 

Diese Job-Offensive verschärft also einerseits den Mangel an Fachkräften, stimuliert aber vielleicht auch diesen spezifischen Teil des Arbeitsmarkts in Europa. 

Zugleich dürfte das entschiedene Vorantreiben des Metaverse zur Entstehung dazu passender Berufsbilder führen:

  • digitale Immobilienentwickler
  • Entwickler und Händler digitaler Güter 
  • Softwareentwickler, die Experten für die Interoperabilität von Systemen sind,
  • 3D-Designer und 3D-Animatoren
  • KI-Experten
  • Goldfarmer
  • Experten für Neuro-Interfaces
  • Juristen, die die sehr unübersichtliche Lage überblicken.

Aber eines scheint derzeit sicher, dass viele Angehörige der Generation Z und der folgenden, sich ohnehin laufend in einer der digitalen Welten aufhalten, aus denen das Metaverse dereinst bestehen wird. Bei ihnen gibt es vermutlich keine nennenswerten Widerstände, das Metaverse auch zu ihrem virtuellen Arbeitsort zu machen. 

Ausblick

Das Metaverse ist sicherlich eines der Ziele, eine der Fantasien, wie sie die Märkte brauchen, um fallenden Kursen und der immer drohenden Überproduktionskrise zu entkommen. Denn kaum etwas ist für Börsenhändler so verlockend wie das größte Geschäft der kommenden Jahrzehnte. 

Aber Vieles muss sich noch zeigen: Wie viel Aufwand müssen Unternehmen betreiben, um am Metaverse teilnehmen zu können? Wie offen wird das Metaverse letztlich sein? Denn die Bekenntnisse zu Offenheit und Interoperabilität müssen erst noch durch konkretes Handeln mit Inhalt gefüllt und bewährt werden. 

Außerdem tun alle, die von der Idee des Metaverse begeistert sind und große Chancen darin sehen, gut daran, ihren Enthusiasmus vielleicht noch ein wenig zu dämpfen. Denn die Umbenennung von “Facebook, Inc.” in “Meta Platform, Inc.” könnte ebenso gut ein PR-Stunt sein, durch den Facebook in einer Krisensituation Schadenskontrolle betreiben und gute Stimmung bei den Investoren und Politikern verbreiten will.

Für diese Interpretation des Rebrandings als nicht besonders gut vorbereitete Ad-hoc-Maßnahme spricht die Tatsache, dass es bereits ein Unternehmen namens Meta gab, das nun wegen Verletzung seiner Markenrechte gegen Meta Platforms, Inc. klagt.

Eins ist sicher: In Deutschland auf dem Land wird man das Metaverse wohl mangels breitbandiger Anbindung vielerorts nicht nutzen können. Jedenfalls, wenn sich bis dahin nichts Grundlegendes ändert. 

Wenn es aber endlich so weit ist, wird metru bereit sein, die Chance nutzen und auch im Kontext des Metaverse zeitgemäße, innovative HR-Leistungen mit Value anbieten.

Dieser Blogpost wurde erstmals im Januar 2022 in unserem alten Recruiter-Blog veröffentlicht.