HR-Analytics - Vorgehensweisen und Tools

6.3.2024
Eines der derzeit am häufigsten verwendeten HR-Buzzwords - beispielsweise auf LinkedIn - ist “HR-Analytics”. Das klingt immer sehr interessant und innovativ. Und oft wird berichtet, wie sehr es hilft, die bestmöglichen Teams zusammenzustellen und im Unternehmen zu halten. Meist wird der Begriff jedoch lediglich erwähnt und bleibt ansonsten eher vage. Worin HR-Analytics und die entsprechenden Methoden letztlich bestehen, wird dabei selten wirklich klar. Für uns als Recruiter-Versteher ist es deshalb an der Zeit, genauer nachzuschauen, was es damit auf sich hat.

Was ist HR-Analytics?

HR-Analytics ist eine Methode der Datenanalyse, mit deren Hilfe sich informierte Entscheidungen über die Einstellung von Mitarbeitern oder für das Personalmanagement treffen lassen. Dabei werden Daten verknüpft und analysiert, die im Unternehmen laufend anfallen. 

Die Daten, mit denen gearbeitet wird, beschreiben Vergangenheit und Gegenwart des Unternehmens in Zahlen. Für HR-Analytics wird mit diesen Zahlen gearbeitet, um statistische Modelle zu erstellen und Informationen zu Korrelationen oder kausalen Zusammenhängen zu liefern. Auf diese Weise können Entwicklungstrends aufgedeckt werden und dienen per Trendfortschreibung der Erstellung von Prognosen. Die Daten ermöglichen letztlich besser fundierte Vorhersagen in Bezug auf zukünftiges Recruiting. 

HR-Analytics lässt sich in People Analytics und Recruitment Analytics (auch: data-driven Recruitment) unterteilen. In beiden Fällen werden Daten erhoben und analysiert.
People Analytics arbeitet mit den Daten der Mitarbeiter, die bereits im Unternehmen arbeiten. Dabei kann es sich um Daten aus dem HR-System handeln oder um eine Zusammenführung dieser Daten mit denen aus anderen Abteilungen. Auf diese Weise können sehr differenzierte Leistungskennzahlen (Key Performance Indicator - KPIs) berechnet werden.

Recruitment Analytics dagegen werten Daten aus, die innerhalb des Recruitment Funnels (vor allem auf der Karriereseite der Unternehmenswebsite) anfallen. 

HR-Analytics hat auch eine Datenschutzdimension, denn es bedient sich personenbezogener Daten - zum Teil auch sensibler Personendaten. Alle Daten sollten deshalb anonymisiert verarbeitet werden, um keine Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter zu verletzen. In Anbetracht der Sensibilität der verarbeiteten Daten, müssen vor der Arbeit damit Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte ihre Zustimmung geben. 

People Analytics 

Tagtäglich fallen in Unternehmen große Mengen an Daten mit Bezug auf die Mitarbeiter an. Diese Daten können durch People Analytics ausgewertet werden. 

Meist geschieht dies, indem Hypothesen über aktuelle Fragestellungen aufgestellt und mithilfe statistischer Methoden untersucht werden. Auf der Basis der Daten können dann Kennzahlen ermittelt werden, die beim Personalmanagement sehr nützlich sind. 

Einige ganz basale Kennzahlen der People Analytics sind:

  • Überstunden: Anzahl der bezahlten Mehrarbeitsstunden
  • Mitarbeiterproduktivität
  • Arbeitsausfall: Anzahl der Abwesenheitsstunden
  • Fluktuationsrate: Dauer des Verbleibs von Mitarbeitern im Unternehmen

So können etwa durch People Analytics anhand der Bestandsdaten die Charakteristika von Mitarbeitern ermittelt werden, die länger im Unternehmen bleiben. Auf diese Weise kann die HR-Abteilung gezielter nach Kandidaten suchen, die die gleichen Eigenschaften aufweisen und in der Zukunft beispielsweise die Fluktuationsrate und damit die Recruitingkosten senken. 

Ist die Fluktuationsrate sehr hoch, kann dem außerdem durch Verbesserung der Employee Experience begegnet werden, um Recruiting-Kosten und Trainingskosten für Neueinstellungen zu sparen. Ebenso können Unternehmen durch Employer Branding einer hohen Fluktuationsrate schon im Vorfeld der Einstellung entgegenwirken. Denn es informiert über die Unternehmenskultur und bewirkt, dass sich unpassende Kandidaten erst gar nicht bewerben.

Auch die Analyse der Kündigungsgründe kann die Frage klären, wie es zu einer erhöhten Fluktuationsrate kommt. 

People Analytics unterstützt auf diese Weise die Personalabteilung bei der Entwicklung neuer Vorgehensweisen und dienen damit als Entscheidungshelfer. Denn die Daten ermöglichen besser fundierte Vorhersagen in Bezug auf zukünftiges Recruiting, Personalentwicklung und die Wirksamkeit von Personalmarketing. Die Wirksamkeit von Maßnahmen wie etwa Weiterbildungen kann durch HR-Analytics ermittelt werden.

Besonders wenn HR-Analytics die Daten der HR-Abteilung mit denen anderer Abteilungen des Unternehmens kombiniert, kann zum Beispiel der Erfolg einer Trainingsmaßnahme für Service-Mitarbeiter im Hinblick auf die Entwicklung der Kundenzufriedenheit untersucht werden. Dadurch lassen sich Aussagen machen, welche Trainingsmaßnahmen zielführend sind und welche nicht. Auch können weitere Einflussfaktoren identifiziert werden, die geeignet sind, die Kundenzufriedenheit zusätzlich zu steigern.

Recruitment Analytics

Für die Ziele und Zwecke von Recruitern gibt es die Recruitment Analytics. Hierfür werden vor allem Daten aus dem Applicant Tracking System (ATS) und von der Stellenseite des Unternehmens ausgewertet. Dort fallen die Daten an, die für das Recruiting relevant sind.

Zu den wichtigsten Kennzahlen, die aus dem ATS für Recruitment Analytics erschlossen werden können, gehören Time to Hire und Cost per Hire. 

Time to Hire ist die Zeit, die von der Ausschreibung der Stelle bis zur Besetzung der Vakanz vergeht. Wer diese Kennzahl misst, kann Pain Points im Recruitment Funnel identifizieren. Dies ist wichtig, denn wer die besten Talente auf dem Markt bekommen will, muss schnell einstellen. Lange Einstellungszeiten können zum Abspringen der besten Kandidaten führen.

Um Verbesserungen der Time to Hire zu erreichen, muss zuerst die durchschnittliche Time to Hire errechnet werden. Hierfür kann die Reportingfunktion des ATS genutzt werden.

Anschließend kann die Time to Hire dann für verschiedene zu besetzende Rollen/Positionen, einstellende Manager, Abteilungen und Recruiter errechnet werden.

Solchermaßen aufgeschlüsselt lassen sich sehr schnell Flaschenhälse und Einsparpotenziale in den Einstellungsprozessen erkennen. Dauert beispielsweise das CV Screening zu lange oder gibt es einen bestimmten Manager, der sich immer erst sehr spät beim Bewerber meldet? 

Der zweite wichtige Punkt für die Datenerhebung ist die Karriere-Website des Unternehmens. 

Hier lassen sich folgende Fragen beantworten: Wie viele Bewerber haben die Karriere-Website des Unternehmens besucht? Zu welcher der unterschiedlichen Etappen des Bewerbungsverfahrens kommen die Kandidaten auf die Webseite des Unternehmens? Wechseln Bewerber während des Prozesses zu Jobbörsen oder Bewerbungsmodulen, wann sind sie wieder auf der eigenen Karriere-Webseite zu finden und wie viele haben ihre Bewerbung doch abgebrochen? Lesen die Kandidaten die Stellenausschreibung bis zum Ende? Surfen die Kandidaten auch andere Seiten der Unternehmens-Website an?

Sourcing Analytics

Wenn die Kandidaten sich nicht von allein bewerben, müssen Recruiter zum Sourcing übergehen. Hier kann wiederum auf der Karriereseite des Unternehmens ermittelt werden: Woher (von welchem Kanal) kamen die meisten, die besten oder die eher schwächeren Bewerber? 

Wer weiß, welche Kanäle die besten Ergebnisse erbringen, kann sich beim Recruiting auf diese konzentrieren und verschwendet keine Ressourcen auf Maßnahmen, die nicht zielführend sind. 

Wie macht man das? Indem spezifische URLs für jeden Kanal genutzt werden, sodass nachvollziehbar wird, von welcher Website der Bewerber zum Unternehmen weitergeleitet wurde. Diese Links enthalten sogenannte UTM-Codes, die an das Ende von URLs angehängt werden. Sie werden für jeden Kanal gesondert generiert und können in Google Analytics ausgewertet werden. Damit lässt sich die Quelle jedes Klicks auf die Stellenseite des Unternehmens genau bestimmen. 

UTM.io ist ein kostenloses Tool zum Generieren von UTM-Codes. Bit.ly generiert UTMs nur in einer kostenpflichtigen Version. 

Weitere im Bereich des Recruitings bedeutende KPIs sind

  • Cost per Candidate: Summierte Kosten aller Kanäle im Verhältnis zur Anzahl der Bewerber
  • Cost per Hire: Kosten, die pro Stellenbesetzung in Unternehmen anfallen
  • Churn Rate per Channel: Abbruchquoten von Bewerbern innerhalb des Bewerbungsprozesses nach Kanal (auch pro Prozessschritt möglich)

Eine besonders wichtige Kennzahl ist die Visitor to Applicant Conversion Rate, die angibt, wie viele der Besucher einer Stellenseite sich tatsächlich beim Unternehmen bewerben. Eine Conversion Rate von 11% ist guter Durchschnitt. Wer mehr erreicht, hat offensichtlich etwas sehr richtig gemacht. Alle Werte weit unter 11% geben zu denken und sollten eine Verbesserung des Employer Branding oder der Stellenseite nach sich ziehen.

Wenn Besucher nicht auf der Stellenseite bleiben, muss die Seite optimiert werden. Hierbei kann eine Heatmap helfen, die per Eye-Tracking von Versuchspersonen oder aus den Mausbewegungen und dem Scrollverhalten von realen Nutzern der Stellenseite ableitet, welche Areale der Seite wenig oder gar nicht wahrgenommen werden beziehungsweise dem Abbruch des Bewerbungsprozesses unmittelbar vorausgehen. 

Indem die Candidate Journey so angenehm wie möglich gestaltet wird, gehen nur wenige Bewerber während des Bewerbungsprozesses durch einen Abbruch verloren. 

Beim Recruiting der Generationen Y und Z ist es in diesem Zusammenhang beispielsweise besonders wichtig, dass die Karriereseite auch von gängigen Smartphones responsive dargestellt und genutzt werden kann.

Alle relevanten KPIs entlang der Candidate Journey sind mit Analytics-Tools messbar. Sie sind anschaulich mit Widgets im Dashboard eines Analyse-Tools darstellbar, sodass zahlreiche Kennzahlen gleichzeitig kontrolliert werden können.

Fallbeispiel: uvex nutzt HR-Analytics im Recruiting

Ein Fallbeispiel für die erfolgreiche Einführung von HR-Analytics ist die uvex group, ein Hersteller von Schutzbekleidung im Berufs- und Sportbereich aus dem fränkischen Fürth, dessen Produkte (z.B. Schutzbrillen für Profisportler) bei zahlreichen Sportveranstaltungen zu sehen sind. 

Dort wurde eine Ist-Analyse durch die Mitarbeiter der Personalabteilung durchgeführt, um einen Überblick über die Zielgruppen und Rekrutierungskanäle zu gewinnen. Grundlage dafür war eine Auswertung des Bewerbermanagementsystems, in dem die Einstellungen, die Anzahl der Bewerbungen und die Art des Eingangs der Bewerbung getrackt wurden. 

Ein Problem des Recruitings bei uvex bestand darin, dass im Nachhinein unklar war, über welche Kanäle erfolgreiche Bewerber die Unternehmenswebsite erreicht hatten. Eine Auswertung über den Erfolg bestimmter Recruitingkanäle war bei uvex entsprechend nicht möglich. 

Dieses Problem wurde mithilfe von Google Analytics gelöst. Zu den Punkten, die uvex jetzt beobachten und auswerten kann, zählen die Conversion Rate, Fehlermeldungen des Bewerbungsformulars und die Scrolltiefe.

Die HR-Analytics Werkzeuge kennenlernen und mit ihnen experimentieren

Google Analytics wird von vielen Unternehmen bereits zum Usertracking der Firmenwebsite verwendet, sodass man mit einem Account schnell mit Recruitment Analytics durchstarten kann. 

Matomo is an open source tracking tool that can be used to evaluate your own career site. How does Matomo differ from Google Analytics? 

Beide Tools messen auf ähnliche Art den Seitentraffic. Matomo ist aufwendiger auch in der Gratis-Version und muss auf dem eigenen Server installiert werden. Google Analytics ist dagegen einfach in der Installation. Das Tracking bietet bei beiden die Verfügbarkeit von Live-Daten und weiterer gewünschter Daten. Erwartungsgemäß ist bei Matomo keine Integration von Google Ads möglich, bei Google Analytics hingegen schon. 

Matomo wartet mit einer Advanced Privacy Control auf, besitzt einen DSGVO Manager und speichert auf eigenem Server, während Google standardmäßig nicht DSGVO-konform ist. 

Fazit

Die Daten, die vielfach im Unternehmen vorliegen, sind eine gute Basis, um Probleme zu analysieren und Vorhersagen abzuleiten. Mit den verfügbaren Tools kann ein genauer Überblick zum Bewerberverhalten auf der eigenen Karriereseite gewonnen werden. Daraus lassen sich schnell Verbesserungsmöglichkeiten erschließen. 

Interessante Fragen zur Effizienz im Recruiting lassen sich mit HR-Analytics beantworten: Kann die Time-to-Hire weiter verkürzt werden? Welche Kosten pro Stellenbesetzung fallen im Unternehmen an und wo kann eingespart werden? 

Wichtige Trends werden identifiziert. Die Analyse-Ergebnisse sollten innerhalb des Unternehmens in Handlungsanweisungen umgesetzt werden. Dazu ist allerdings zunächst die Akzeptanz der Untersuchungsergebnisse erforderlich. Oft müssen die Ergebnisse innerbetrieblich regelrecht "verkauft" werden. Denn es gilt gelegentlich, über Jahre festgefahrene Einstellungen zu überwinden. 

Letztendlich lässt sich sagen, dass die HR-Analytics mit ihren Analyse- und Prognosemöglichkeiten für das Recruiting Kosten- und Zeitersparnis bringen. Auf dem Weg dahin ist HR-Analytics eine wertvolle Entscheidungshilfe.